Wenn die Hasswelle einen überrollt

Eine Online-Redaktion hatte mir ein paar Videoclips zugesandt und um eine Einschätzung gebeten: Blockadeaktionen der Klimakleber auf der Straße, erhitzte Ausrufe von Autofahrern in einem Stau, ein Interview eines Politikers mit einer Aktivistin und das Statement eines Ministers.

Hier sind Auszüge aus circa 220 Kommentaren, von denen 99 % den Tenor hatten:

(Originalrechtschreibung beibehalten)

  • Was für ein Dünpfiff Clip!
  • Bei dem Typen hab ich den Eindruck, daß der sich selber schon an geklebt hat oder würde.
  • Ich denke, die Ururenkel dieses Experten schämen sich schon seit längerer Zeit, wenn er seine Kommentare abgibt.
  • Was dieser Herr da labert ️
  • Der Kommentator ist 99% der intellektuelle Overhead des Tumben Kleber
  • Hallo Herr Konflìktforscher, ich habe selten so was Selbstverliebtes wie sie gehört und gesehen…also träumen Sie weiter, aber möglichst für sich allein !
  • Der Opa ist ist ein Sympathisant der irren Klebekinder, was soll dass?
  • Ach Opa … geh mal lieber mit deinen Kurzhaardackel spazieren.
  • Der typ erzählt einen sche….. unerträglich
  • Hier hat man einen Lebenslangen Akademiker. Mit seinen ganzen Wissen aus Büchen und Höhrsälhen.
  • Leg Dich ins Bett, Klima-Opa.
  • KLIMAAKTIVIST zu viel geschnüffelt wa
  • Wo ist denn das Problem die Leute von der Straße zu ziehen alter Mann ? Privilegierter Vogel

 

Hat mich das be- und getroffen?

Ja mehr, als ich dachte. Ich habe es zuerst abgetan als ungelenke Reaktionen von Mitlesenden. Dann merkte ich, dass die darin enthaltene Entwertung ins Herz stichelte.

Es ist okay,

  • eine andere Meinung zu haben,
  • mein Auftreten und meine Art und Weise nicht zu mögen,
  • meine Kompetenz anzuzweifeln.

Es ist NICHT okay,

  • mich als Menschen attackieren,
  • mich abzuwerten,
  • mich zu beschimpfen und
  • dabei anonym zu bleiben.

Mir wurde weder mit körperlichen Angriffen noch Abbrennen meines Hauses gedroht. Ich bekam also die milde Variante eines Shitstorms. Andere Menschen erhalten ernsthafte Bedrohungen und müssen um ihre Unversehrtheit und um die Familie fürchten.

Was treibt Menschen dazu, derartige Kommentare zu veröffentlichen?

Als Erstes fällt mir die Ventilfunktion der Online-Medien ein. Ich bekomme einen Verbreitungsgrad meiner Meinung und Ansichten, die bisher noch nie da gewesen ist – ich BIN wer mit 2000 Followern!

Für den zweiten Gedanken – die Anonymität der Online-Medien mit Nutzernamen wie @Alien-hu7ey macht mutiger – gibt es wenig empirische Beweise zu einer Ursache-Wirkungs-Beziehung.

Die Züricher Studie „Digital Social Norm Enforcement: Online Firestorms in Social Media“ kommt zum Ergebnis:
„Im Allgemeinen erzeugt die Anonymität das Phänomen des ´Fremden im Zug´, bei dem Menschen intime Selbstoffenbarungen mit Fremden teilen, da sie kein Wiedersehen erwarten und daher keine Risiken und Zwänge fürchten. In diesem Sinne fühlen sich Menschen, die die Möglichkeit haben, ihre Handlungen online von ihrem persönlichen Lebensstil und ihrer Identität zu trennen, weniger verletzlich, wenn es darum geht, sich selbst zu offenbaren und auszuleben. …es ein Machtungleichgewicht aus, das die Fähigkeit des Opfers einschränkt, gewöhnliche Techniken zur Bestrafung aggressiven Verhaltens anzuwenden.“

Nächste Gedanken sind die Frustration und Enttäuschung über die persönliche Situation: Der Blitzableiter für meine Enttäuschungen im eigenen Leben. Statt in die Hände zu spucken und was daran zu ändern, lenke ich mich davon ab durch Hasstiraden und Beschimpfungen.

Mit meiner Meinung biete ich eine Projektionsfläche, an der sich andere abarbeiten können. Das meint mich nicht als Mensch, sondern meine Aussagen werden instrumentalisiert. Wer diese Leinwand darstellt, ist egal – außer – je berühmter – umso besser.

Die auf therapeutische Interventionen und Resilienztrainings für Betroffene von Hatespeech und digitaler Gewalt spezialisierte Psychologin Dorothee Scholz sagt: „MRT-Studien haben gezeigt: Wenn Menschen fremde Gruppen als nicht kompetent und nicht nützlich im wirtschaftlichen Sinne wahrnähmen, dann seien die für Empathie zuständigen Hirnregionen nicht aktiv. Insofern ist die Wahrnehmung dieser Gruppen entmenschlicht.“

Ein weiterer Aspekt ist ein irrationales Bedrohungsgefühl, dass wir „verdrängt, verarmt werden, untergehen, an Bedeutung verlieren usw.“

Wie sieht es rechtlich aus?

Die ZDF-Moderatorin und Journalistin Dunja Halali hat auf den sozialen Medien den Erfolg mit einem Gerichtsurteil veröffentlicht. Die unbekannte Person muss 900 Euro Strafe an eine Organisation gegen Rassismus und Diskriminierung zahlen. Außerdem muss sie die Kosten des Verfahrens bezahlen.

Die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und räumt diesem Recht den höchsten Rang ein. Das gilt aber nicht uneingeschränkt: Wird die Menschenwürde angegriffen, das Persönlichkeitsrecht verletzt oder herabwürdigende Schmähkritik der Inhalt sind, kann ein Betroffener sich rechtlich wehren.

Auf das Recht der freien Meinungsäußerung kann sich nicht berufen werden, wenn durch die Äußerungen Strafrechtsnormen verletzt werden. Dies gilt auch, wenn Bestimmungen zum Schutze der Jugend damit verletzt werden.

Ob Äußerungen online oder offline getätigt werden, ist nicht entscheidend. Die sogenannte „Hate Speech“ kann folgende Tatbestände des Strafgesetzbuches (StGB) erfüllen:

  • Öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111)
  • Beleidigung (§ 185 StGB)
  • Üble Nachrede (§ 186 StGB)
  • Verleumdung (§ 187 StGB)
  • Volksverhetzung (§ 130 StGB)

Zur Gegenwehr braucht es auf jeden Fall einen guten Rechtsbeistand und ausreichend Wut, sich dagegen zu stemmen. Viel Aufwand und langwierige Recherchen sind notwendig, um z. B. an den Klarnamen zu kommen.

Was ist Hasssprache?

Hasskommentar sind Aussagen, die Einzelpersonen oder Gruppen von Menschen absichtlich angreifen und abwerten. Das Ziel ist, mit den Worten zu verletzen, herabzuwürdigen und zu beschimpfen. Die Begründung von Hassreden bleibt meisten dabei aus oder wird mit nicht haltbaren Argumenten belegt.

In der Broschüre HATE SPEECH HASS IM NETZ von der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (AJS) Landesstelle NRW e. V. und Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) findet sich Beispiele:

Bewusste Verbreitung
uninformierter oder falscher
Aussagen
Die Flüchtlinge haben alle teure Handys.“

„Die Flüchtlinge müssen im Supermarkt nicht bezahlen.“

Tarnung als Humor oder Ironie „Ich will auch ein neues Smartphone.

werde ich im nächsten Leben halt Asylant.“

Herabwürdigende und
verunglimpfende Begriffe:
sexistische und rassistische
Beleidigungen
„Kanake.“

„Schwuchtel.“

„Schlampe.“

Bedienen von Stereotypen und
Vorurteilen durch bestimmte
Begriffe und Sprachmuster
„Homo-Lobby.“
„Asylantenflut.“
„Das Boot ist voll.“
„Ausländer raus.“
„Drohende Islamisierung.“
Verallgemeinerungen „Alle Griechen sind faul.“
Wir/Die-Rhetorik „Die bedrohen unsere Frauen!“
Verschwörungstheorien „Der Staat will unsere Kinder zu Homosexuellen erziehen.“
„Die Politik unterstützt die Islamisierung Deutschlands.“
Plakative Bildsprache Rassistische Darstellung z. B. von Schwarzen Menschen mit Baströckchen.

Bilder, die Stereotype reproduzieren, indem sie z. B. muslimische Männer mit Sodomie in Verbindung bringen.

Gleichsetzung Juden – Israel

Gleichsetzung von Homosexualität mit pädosexueller Kriminalität, Inzest oder Sodomie.

Befürwortung oder Androhung
sexualisierter Gewalt – oft in
konzentrierter Form
Ein Beispiel dafür ist das sogenannte #Gamer Gate. Unter diesem Hashtag organisierte sich 2014 in den Sozialen Medien so viel Hass in Form von Mord- und Vergewaltigungsdrohungen gegen die sexismuskritische Videobloggerin Anita Sarkeesian. Dass sie zeitweise untertauchen musste. Öffentliche Auftritte der Bloggerin mussten wegen Bombendrohungen abgesagt werden.
Befürwortung von oder Aufruf
zu Gewalttaten
„Die sollte man alle abknallen/verbrennen/vergasen.“
„An den Galgen mit ihnen!“

Auch die Ironie und lockere Sprüche tragen Spuren von Hass in sich. „Sind doch nicht so gemeint!“ ist dann die Ausrede. Da stellt sich die Frage: Wenn das so wäre, warum mache ich sie dann?

Was tun?

Es gibt eine Grenze des „dummen Redens“. Dabei darf nicht vergessen werden, dass es auch um die Verrohung der Gesellschaft geht.

Härtere Strafen, Sanktionen oder eine Social-Media-Polizei werden das Problem nicht lösen.

Hetzer und Frustrierte gab es und wird es immer geben. Die Frage lautet. Ob diese Minderheit medial und im gesellschaftlichen Diskurs die Oberhand gewinnt. Geben wir als Gesellschaft dem fanfarenartigen Getöse einer Minderheit eine Plattform?

Was kann ich tun?

Ich kann

  • im persönlichen Gespräch sagen, dass ich diskriminierende Aussagen nicht akzeptieren und hören möchte, weil ich für einen anderen Umgang miteinander und eine andere Haltung oder Idee habe.
  • in Vereinen und Verbänden mitwirken, dass Publikationen, Social Media Auftritte und Versammlungen in einem angemessenen Ton abgehalten werden und nicht diskriminierend sind.
  • in meinem direkten Umfeld – gerade auch in der Familie – für eine respektvolle Sprache und Umgang miteinander sorgen. Die Hetzer von morgen werden heute erzogen.

 

Appellen stimmen wie gern zu und gleichzeitig verpuffen sie im Alltag.

Stellen Sie sich vor, wie Menschen über Sie reden. Dann gilt dabei das Sprichwort:

„Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu!“

Das reicht – mehr nicht!

Bei #FOCUS hier

 

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Christoph Maria Michalski

Experte bei Sat1 Frühstücksfernsehen und ARD-BRISANT

Buch Die Konflikt-Bibel

Experte FOCUS online

Berater mit einer virtuellen Tour HIER

Dozent der HAUFE Akademie

Repräsentant Niedersachsen der Stiftung Mediation e.V.

Ausbildung

Diplom-Rhythmiklehrer,

Diplom-Pädagoge Erwachsenenbildung und

MSc in IKT-Management

Kurzvita

Barkhausener Str. 97

49328 Melle bei Osnabrück

www.christoph-michalski.de

senior@christoph-michalski.de

28.07.2023

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