Schwitzend bis zum Kollaps: Warum ein Hitzeaktionsplan kein Sommerthema ist, sondern Überlebensfrage der Wirtschaft

„Schwitzend bis zum Kollaps: Warum ein Hitzeaktionsplan kein Sommerthema ist, sondern Überlebensfrage der Wirtschaft“
Die erste Hitzewelle trifft Deutschland nicht mehr überraschend. Sie rollt mit Ansage. Und mit wachsender Wucht. Wetterdienste schlagen Alarm, Städte basteln an Notfallplänen, doch viele Unternehmen? Sitzen noch im klimatisierten Chefbüro und hoffen, dass es schon irgendwie gut gehen wird.
Dabei ist die Lage längst ernst. Und sie betrifft nicht nur die Dächer unserer Firmengebäude, sondern die Grundfesten des sozialen Miteinanders im Arbeitsalltag. Denn wenn das Thermometer steigt, sinkt nicht nur die Leistungsfähigkeit – es sinkt auch die Geduld. Die Aufmerksamkeit. Die Fairness. Und irgendwann: die Loyalität.
Wir müssen reden. Nicht über das Wetter. Sondern über das, was es mit unseren Unternehmen macht.

Sommerhitze ist kein Wetterphänomen. Sie ist ein Führungsthema.

Es beginnt schleichend. Die Mittagshitze bleibt in den Büros hängen, die Luft wird schwer, die Fenster bleiben geschlossen, weil draußen 35 Grad herrschen. Die Köpfe werden müder, die Stimmen lauter, die E-Mails patziger. Ein Kollege stellt seinen Ventilator auf – das Geräusch stört andere. Die Azubine fragt, ob sie früher gehen darf – der Abteilungsleiter winkt ab. Die Stimmung kippt. Nicht wegen eines großen Streits, sondern wegen hundert kleiner Hitzemomente, die ungeklärt im Raum stehen wie ein Dunst aus Schweiß und Ungesagtem.

Hitze ist ein sozialer Test. Und er ist nicht trivial.

Der Mensch ist bei hohen Temperaturen deutlich reizbarer, weniger empathisch und schneller überfordert. Studien belegen, dass unser präfrontaler Kortex – zuständig für komplexes Denken und Emotionsregulation – bei Hitze schlicht langsamer arbeitet. Wir entscheiden impulsiver, missverstehen schneller, und unser „sozialer Akku“ entlädt sich früher als sonst.

In der Praxis heißt das: Die Konfliktdichte steigt – und zwar besonders in jenen Teams, in denen die Kommunikation ohnehin nicht reibungslos läuft. Kleine Spannungen, die man bei 22 Grad mit einem Scherz aufgelöst hätte, eskalieren plötzlich. Aus einem zu spät gekommenen Kollegen wird ein „Drückeberger“, aus einer fehlenden Wasserflasche wird ein Beweis mangelnder Fürsorge. Hitzestress ist wie ein Vergrößerungsglas – es macht sichtbar, was im System schon brennt.

Hitze ist ungerecht. Und genau das macht sie so gefährlich.

In den meisten Betrieben ist Hitze kein Gleichmacher, sondern ein Spalter. Diejenigen, die im klimatisierten Erdgeschoss arbeiten, erleben den Sommer ganz anders als jene im Dachgeschoss. Wer im Homeoffice mit Ventilator sitzt, hat mehr Luft als das Team in der Werkstatthalle. Und wenn dann noch die Führungskraft sagt, sie sehe „keinen Handlungsbedarf“, ist der Frust perfekt.

Besonders kritisch wird es, wenn sich eine Gruppe benachteiligt fühlt – oder gar ignoriert. Das Gefühl, im Stich gelassen zu werden, ist einer der häufigsten Auslöser für innere Kündigung. Und der Satz „Bei uns interessiert das keinen“ klingt harmlos – ist aber ein Frühwarnzeichen für sozialen Zerfall.

Deshalb ist es so wichtig, dass Unternehmen strukturiert, transparent und empathisch mit der Hitzebelastung umgehen. Dass sie nicht reagieren, wenn es zu spät ist, sondern vorher planen. Mit einem Hitzeschutzkonzept, das klar regelt: Wer ist verantwortlich? Welche Temperaturen gelten als kritisch? Was passiert ab wann – für wen?

Ein Hitzeaktionsplan ist dabei kein starres Regelwerk, sondern ein lebendiger Ausdruck von Führungsqualität. Er zeigt: Wir sehen euch. Wir nehmen die Belastung ernst. Und wir handeln, bevor der Körper schlappmacht und das Team innerlich kündigt.

Ein Plan gegen das Schweigen im Sommer

Ein solcher Plan beginnt nicht mit der Klimaanlage, sondern mit der Haltung. Führungskräfte müssen lernen, Hitzebelastung nicht als persönliches Empfinden, sondern als kollektive Realität zu begreifen. Es geht nicht darum, ob man selbst „damals im Sommer ’94 auch durchgehalten hat“, sondern darum, welche Verantwortung man heute gegenüber seinem Team trägt.
Denn wer Verantwortung übernimmt, schützt nicht nur Gesundheit – er stärkt auch das Vertrauen. Und Vertrauen ist in hitzegestressten Zeiten ein seltenes Gut.

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz hat in einem umfassenden Leitfaden konkrete Empfehlungen ausgesprochen. Von Temperaturgrenzwerten über Arbeitszeitmodelle bis zu Lüftungskonzepten. Doch entscheidend ist nicht nur, was man macht – sondern wie.

Wer Maßnahmen still und heimlich nur für ausgewählte Bereiche umsetzt, verschärft die Spannungen. Wer Regeln kommuniziert, aber nicht lebt, verliert Glaubwürdigkeit.

Ein Hitzeaktionsplan muss daher mehr können als technische Fragen beantworten. Er muss die psychologischen Folgen bedenken, die soziale Fairness sichern und Führung in Verantwortung bringen.

Der Sommer ist eine Feuerprobe für jede Unternehmenskultur

Und das ist kein Zufall. In den Tropen spricht man vom „heat fatigue“ – einem Zustand dauerhafter Erschöpfung, der nicht nur körperlich, sondern auch sozial wirkt. Wer sich überhitzt fühlt, hat weniger Kraft für Kooperation, weniger Geduld mit anderen und weniger Sinn für Nuancen. Es regiert der Kurzschluss.

Ein Beispiel: In einem mittelständischen Unternehmen im Maschinenbau klagte die Belegschaft regelmäßig über stickige Luft und Kopfschmerzen im Sommer. Die Führung zeigte sich zunächst verständnisvoll – aber tat nichts. Nach zwei besonders heißen Wochen nahm der Krankenstand zu, interne Mails wurden aggressiver, ein langjähriger Teamleiter kündigte überraschend. Die Diagnose: nicht Hitze, sondern Frustration. Und die war vermeidbar.

Denn das Problem war nicht die Temperatur allein – es war das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Und dieses Gefühl ist in jedem Unternehmen der Anfang vom Ende.

Kühle Köpfe führen besser

Moderne Führung bedeutet, Verantwortung auch für die Bedingungen zu übernehmen, unter denen Menschen arbeiten. Nicht aus Nettigkeit, sondern aus Respekt. Wer Fürsorge zeigt, gewinnt Vertrauen. Wer Vertrauen schafft, gewinnt Bindung. Und Bindung ist in Zeiten des Fachkräftemangels nicht weniger wert als ein Geschäftsabschluss.

Ein gut gemachter Hitzeaktionsplan ist also nicht nur Arbeitsschutz – er ist Führungsinstrument, Kulturpflege und ein starkes Signal an alle, die Leistung bringen wollen, ohne auszubrennen.

Dazu gehören zum Beispiel:

• realistische Temperaturgrenzwerte mit klaren Handlungsfolgen
• klare Kommunikation: Was gilt ab wann, für wen, wie lange?
• flexible Arbeitszeitmodelle für heiße Tage
• ruhige, schattige Rückzugsorte für kurze Pausen
• das gute alte Wasserglas auf jedem Schreibtisch – sichtbar, kostenlos, selbstverständlich
Aber vor allem: ein glaubwürdiges Vorleben. Eine Chefin, die sich mittags selbst in den überhitzten Besprechungsraum setzt, um mit dem Team eine Lösung zu finden, erreicht mehr als jedes PDF aus der Personalabteilung.

Fazit: Hitze ist nicht das Problem – Gleichgültigkeit schon

Der Sommer wird wieder kommen. Und er wird nicht leiser, freundlicher oder kühler. Aber Unternehmen können klüger reagieren. Wer die psychologischen Effekte der Hitze ernst nimmt, erkennt: Es geht nicht nur um Raumtemperatur. Es geht um Verantwortung, um Gerechtigkeit, um Vertrauen.

Ein Hitzeaktionsplan ist kein bürokratisches Monster. Er ist ein Beziehungsschutzprogramm. Er schützt das Betriebsklima – und damit das, was jedes Unternehmen am Laufen hält: die Menschen.

Und mal ehrlich: Wenn man mit ein paar guten Ideen, klarem Denken und kühlem Kopf verhindern kann, dass Teams zerbrechen, Kollegen krank werden und Führung versagt – warum sollte man es nicht tun?

Denn eines ist sicher: Hitzefrei wird es auch dieses Jahr nicht geben. Aber ein gutes Betriebsklima – das ist machbar.

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Christoph Maria Michalski

Experte bei Sat1 Frühstücksfernsehen und ARD-BRISANT

Buch: Streiten mit System: Wie du lernst, Konflikte zu lieben

 Experte FOCUS online mit 3,9 Millionen Zugriffen

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MSc in IKT-Management

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20.05.2025

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