Dieser Satz von Friederich Merz klingt weniger nach Politik, mehr nach esoterischer Fernheilung. Warum solche Suggestivformeln in der Kommunikation problematisch sind und Vertrauen verspielen, erläuterte ich:.
Fernheilung vom Kanzler?
Wenn ein Politiker im Bundestag sagt: „Ich möchte, dass Sie, die Bürgerinnen und Bürger, schon im Sommer spüren: Hier verändert sich etwas zum Besseren“, dann klingt das eher nach Reiki-Sitzung als nach Regierungserklärung. Man reibt sich verwundert die Ohren. Spüren? Was denn genau – eine wohlige Ahnung? Eine warme Brise der Zuversicht? Oder ein politisches Placebo?
In Zeiten, in denen Inflation, Bürokratie und Frust auf der Straße konkrete Probleme darstellen, wirkt so ein Satz enttäuschend. Denn wer in schwierigen Zeiten führt, sollte nicht hoffen, dass seine Worte Gefühle erzeugen – sondern dass seine Taten Wirkung zeigen.
Solche Formulierungen signalisieren nicht: „Ich habe einen Plan“, sondern eher: „Ich wünsche mir gute Stimmung.“ Und genau das ist der Knackpunkt. Politk ist keine Wellness-Anwendung.
Gefühl statt Ergebnis: Das psychologische Problem
Psychologisch betrachtet ist dieser Satz eine klassische Suggestion: Man will beim Gegenüber eine Reaktion hervorrufen, bevor überhaupt ein Auslöser existiert. In der Kommunikation nennt man das vorweggenommene Gefühlslenkung – ein gefährliches Werkzeug.
Denn wer anderen vorschreibt, wie sie sich fühlen sollen, nimmt ihnen das eigene Urteil ab. Die Reaktion: Widerstand. Menschen mögen es nicht, wenn ihre Wahrnehmung bevormundet wird. Noch schlimmer: Wenn sie das Gefühl haben, dass Emotionen anstelle von Lösungen verkauft werden.
Diese Art des Sprechens findet man oft in schwierigen Beziehungen: „Du merkst doch auch, wie gut es wieder läuft zwischen uns, oder?“ – während die Realität ganz anders aussieht. In der Politik ist das fatal: Bürger*innen wollen Veränderungen sehen, nicht spüren müssen.
Die Alltagsprobe: Würde das bei Ihnen funktionieren?
Stellen Sie sich vor, Ihr Chef sagt bei der nächsten Betriebsversammlung: „Ich möchte, dass Sie alle schon bald spüren, dass sich hier etwas zum Besseren entwickelt.“ – ohne konkrete Maßnahmen, ohne Ergebnisse, ohne belastbare Zahlen.
Würden Sie ihm vertrauen? Oder heimlich denken: „Das klingt nett, aber ich warte lieber auf die nächste Gehaltserhöhung.“
Oder nehmen wir den Handwerker, der nach Monaten Verzögerung sagt: „Ich möchte, dass Sie bald spüren, dass Ihre Heizung wieder funktioniert.“ – Ein schöner Wunsch. Aber ein kalter Trost im Winter.
Diese Art der Kommunikation funktioniert eben nur, wenn es um Hoffnung geht – nicht um Verantwortung. Und genau da liegt der Unterschied zwischen einem politischen Redner und einem politischen Gestalter.
Wenn Gefühle Ersatzhandlungen werden
Der Satz von Bundeskanzler Merz zeigt ein verbreitetes Problem: Gefühle werden zur Ersatzwährung für Handlungsfähigkeit.
Statt anzukündigen, was sich konkret verbessern wird – etwa weniger Bürokratie, bessere Digitalisierung, einfachere Verfahren – wird ein diffuses „Spüren“ angeboten. Das erinnert an viele Management-Klausuren, bei denen die Führung sagt: „Wir sind auf einem guten Weg“, obwohl noch keiner weiß, wohin die Reise eigentlich geht.
Psychologisch betrachtet ist das eine Strategie, um Kontrolle zu suggerieren, wo Unsicherheit herrscht. Ein beruhigendes Mantra, das an der Wirklichkeit jedoch oft scheitert – und auf Dauer Glaubwürdigkeit kostet.
Warum klare Worte so schwer sind
Warum tun sich viele Führungspersönlichkeiten – ob in der Politik oder der Wirtschaft – so schwer mit klaren, überprüfbaren Aussagen? Ganz einfach: Wer konkret wird, macht sich angreifbar.
„Ich möchte, dass Sie spüren …“ ist angenehm schwammig. Niemand kann überprüfen, ob das Spüren eingetreten ist. Wenn aber gesagt wird: „Im Sommer werden 50.000 neue Kita-Plätze geschaffen“ oder „Die Wartezeit auf Baugenehmigungen halbiert sich“, dann ist das messbar – und damit überprüfbar.
Doch Führung bedeutet nicht, sich abzusichern, sondern Verantwortung zu übernehmen. Und das beginnt mit Sprache, die nicht nur Hoffnung verkauft, sondern Realität benennt.
Fazit: Politik braucht keine Wünsche, sondern Wirksamkeit
Ein Bundeskanzler – oder jemand, der es werden will – sollte kein Wunschkonzert dirigieren. Er sollte Realitäten gestalten. „Ich möchte, dass Sie spüren …“ ist ein rhetorischer Nebelwerfer, der Gefühle heraufbeschwört, wo Fakten gefragt sind.
Wer Menschen mitnehmen will, muss nicht behaupten, dass sich etwas zum Besseren verändert – sondern es sichtbar machen. Der Bürger darf und soll selbst fühlen, wann es besser wird. Nicht, weil es ihm eingeredet wird, sondern weil er es am eigenen Alltag merkt.
Oder mit einem ätherischen Schlusssatz gesagt:
Politik ist keine Aromatherapie. Wir brauchen keine Fernheilung, sondern Handfestes – am besten mit Kassenbon.
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Christoph Maria Michalski
Experte bei Sat1 Frühstücksfernsehen und ARD-BRISANT
Experte FOCUS online mit 3,9 Millionen Zugriffen
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Ausbildung
Diplom-Rhythmiklehrer
Diplom-Pädagoge Erwachsenenbildung und
MSc in IKT-Management
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14.05.2025